Erstmals Gerichtsdolmetschergesetz (GDolmG) in Kraft: Nachbesserungen dringend nötig
Der BDÜ Nord macht sich für Verbesserung des GDolmG und für einheitliche und gerechte Regelungen stark - die ver.di unterstützt unsere Anliegen
Dolmetscher und Übersetzer, kurz: Sprachmittler sind in jeder Gesellschaft, in jedem Staat von großer Bedeutung für eine gelungene Kommunikation frei von Missverständnissen. Vor allem bei Gerichten und Behörden, wo es auf jede Formulierung ankommt, sind qualifizierte und professionell handelnde Sprachmittler unerlässlich - für alle Verfahrensbeteiligten. Auch in Deutschland braucht es selbstredend qualifizierte und professionell handelnde Sprachmittler in allen Bereichen des Lebens. In Deutschland ist das Recht auf einen Dolmetscher – etwa in Strafverfahren – sogar in den Grundrechten verankert, damit ein Beschuldigter versteht, wessen er beschuldigt wird und sich entsprechend verteidigen kann. Mehr dazu auch hier auf unserer Website unter Hinweise zum Dolmetschen im Gesundheits- und Gemeinwesen.
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di unterstützt unsere Anliegen und hat auf ihrem 6. Bundeskongress im September 2023 einen klaren Beschluss dazu gefasst:
"ver.di setzt sich für die Verbesserung des Gerichtsdolmetschergesetzes ein", berichtet uepo.de
Die fachlich zuständige ver.di-Abteilung selbst hat das Thema nun wieder in den Fokus gerückt und stellt ihre Forderungen (die auch unsere sind) erneut gut sichtbar an die Politik:
Wer ist zuständig für das Gerichtsdolmetschergesetz (GDolmG)?
Das GDolmG ist ein Bundesgesetz, für seine Umsetzung sind die Länder über ihre eigenen Landesgesetze zuständig, denn in Deutschland sind Justizangelegenheiten Ländersache. Zugleich ist man auf Behördenseite bemüht, die in den Bundesländern jeweils unterschiedlichen Anforderungen für eine Beeidigung (Dolmetscher) und Ermächtigung (Übersetzer) bundesweit in Einklang zu bringen. Das bedeutet, dass die Bundesländer versuchen müssen, die Vorgaben des Bundesgesetzes GDolmG in ihre Landesgesetze einzuarbeiten - nach vorheriger Absprache mit den Zuständigen in den anderen Bundesländern. Aber ist das überhaupt möglich? Oder entspricht das der Quadratur des Kreises?
Wir haben unsere Stellungnahmen zu den geplanten Änderungen im jeweiligen Landesrecht versandt an Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen; von der Freien und Hansestadt Hamburg liegt uns bislang keine Bitte um Stellungnahme vor. (Stand: August 2022)
BDÜ Nord für klare Regelungen
Wir meinen, dass einheitliche Maßstäbe und Vorschriften in den Ländern, die von einem Bundesgesetz getragen werden, erreicht werden können. Dazu müssten sich die beteiligten Akteure im Bund und in den Ländern und Ausschüssen auf sinnvolle, gerechte und faire Regelungen einigen. Als BDÜ Nord machen wir uns dafür stark, dies in einem ersten Schritt in den vier nördlichen Ländern (HH, SH, HB und NI) umzusetzen, für die wir in der BDÜ-Familie zuständig sind.
Wir haben die für unsere Bundesländer Verantwortlichen in der Politik angeschrieben - unseren Offenen Brief können Sie hier im Format PDF herunterladen.
Zudem haben wir Stellungnahmen zu den vorgeschlagenen Änderungen in den Bundesländern verfasst und versendet: für Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen. Aus Hamburg haben wir bislang keine Bitte um Stellungnahme erhalten.
Nachfolgend nennen wir einige zentrale Punkte, die uns im neuen GDolmG (ab 01.01.2023 in Kraft) besonders aufgefallen sind, und machen Verbesserungsvorschläge.
Unsere Hauptkritikpunkte am GDolmG
Vor allem (aber nicht nur) die folgenden Punkte sind aus unserer Sicht bedenklich und dringend zu verbessern:
- Das GDolmG ist nur auf Dolmetschen als alleinige Art der Sprachmittlung anwendbar.
Hier sollten aber alle Arten der Sprachmittlung erfasst werden: mündliche Sprachmittlung (Dolmetschen), Übersetzen (schriftliche Sprachmittlung) und das Gebärdensprachdolmetschen (Sprachmittlung über Gebärden(sprache)). Durch die Eingrenzung des Anwendungsbereichs allein auf das Dolmetschen bleibt die ohnehin schon unübersichtliche Lage in diesem Punkt deutschlandweit auch weiterhin kompliziert und mit Blick auf die EU- und internationale Ebene erst recht. Dies hat sich nach unserem Empfinden durch die Einführung des GDolmG in seiner jetzigen Version (Stand: 25.06.2021) sogar noch verschlimmert, da es nicht für alle Sprachmittler anwendbar ist.
- Bestandsschutz für bereits beeidigte Dolmetscher (und ermächtigte Übersetzer) fehlt komplett
Nach der derzeitigen Fassung des Gesetzes würden sämtliche bestehenden Beeidigungen für Gerichtsdolmetscher (mündlich) zum 01.01.2027 (bisher: 12.12.2024 - Stand: 06.09.2022) ihre Gültigkeit verlieren. Allerdings wurde diese Beeidigungen ohne Befristung erteilt. Es gibt keinen Anlasss – und nach unserem Dafürhalten auch keine rechtliche Grundlage – diese nachträglich zu befristen! Um weiter bei Gericht arbeiten zu dürfen, müssten demnach alle aktuell über 13 000 bundesweit registrierten beeidigten Dolmetscher ihre Beeidigung neu beantragen. Zum Nachweis ist ein Universitätsabschluss als Dolmetscher vorzulegen bzw. eine staatliche oder staatlich anerkannte Prüfung plus Lebenslauf etc. Diese Prozedur soll künftig alle fünf Jahre vollumfänglich wiederholt werden. Was als kurzer Datenabgleich gehandhabt werden könnte, reduziert auf eine Abfrage, ob die Person weiter für Dolmetschaufträge zur Verfügung steht und die Daten noch aktuell sind, wird mit dem neuen Gesetz ein teurer bürokratischer Akt. Unsere Forderung: eine einfache, Zeit und Kosten sparende Aktualisierung der Beeidigung.
Verschärfend kommt hinzu, dass langjährig tätige Dolmetscher, die aufgrund ihrer Berufserfahrung beeidigt wurden, auf dieser Grundlage nicht weiter bei Gericht arbeiten dürften. Sie müssten neue Prüfungsnachweise vorlegen, die seinerzeit nicht verlangt wurden. Das finden wir ungerecht: Langgedienten Kollegen den Befähigungsnachweis abzuerkennen ist für uns wie einen Schlossermeister noch einmal zur Meisterprüfung zu schicken.
Um es klar zu sagen: Der BDÜ Nord unterstützt die im GDolmG verlangte Aus- und Fortbildung für Sprachmittler und deren hohe Qualität in jeder Hinsicht. Zugleich fordern wir aber eben auch eine gerechte Anerkennung alle bisher erbrachten und geltenden Befähigungsnachweise bei Beeidigungen sowie den Bestandsschutz für bereits bestehende Beeidigungen.
- Es braucht mehr staatliche Prüfungsämter sowie einheitliche Regelungen für die staatlichen Prüfungen in den Bundesländern (4 Nordländer und bundesweit)
Bislang gibt es in Deutschland viel zu wenige staatliche Prüfungsämter für die Berufe Dolmetscher und Übersetzer; im Norden gibt es gar keines. Zwar haben die Kultusminister in ihrem Beschluss vom 17.12.2020 bekräftigt, dass es staatliche Prüfungsämter geben soll, aber zugleich versäumt dies für jedes Bundesland oder zumindest für jede Region (beispielsweise Nord, Süd, Ost, West, Mitte) auch verbindlich vorzusehen. Die Soll-Formulierung wirkt auf uns eher wie ein frommer Wunsch als wie eine verlässliche Handlungsmaßgabe. Wir sehen es als einen Widerspruch, auf der einen Seite von den Dolmetschern einheitliche Nachweise zu verlangen, ohne auf der anderen Seite verbindlich eine Infrastruktur einzurichten, in der diese auch erworben und erbracht werden können. Auch unser Dachverband hat sich hier in unserem Sinne positioniert.
Mit einheitlichen Regelungen und beispielsweise einem gemeinsamen staatlichen Nord-Prüfungsamt wäre den Sprachmittlern im Norden schon einmal sehr geholfen: sie könnten ohne Mühe länderübergreifend und für alle Verfahrensarten zum Einsatz kommen. Verbindlich gleiche Anforderungen an die Sprachmittler und deren gleiche Expertise sind auch für Gerichte und Behörden von großem Vorteil.
Appell des BDÜ Nord vom 10.06.2022 an die politisch Verantwortlichen in Hamburg
- Bezahlung nach JVEG (verbindlich) fehlt
Die Honorare für Sprachmittler, die für die Behörden und insbesondere die Justiz beauftragt werden, sind grundsätzlich verbindlich im Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) geregelt. Leider unterlaufen die Länder diese Tarife allzu oft zum Schaden der zumeist freiberuflich tätigen Dolmetscher und Übersetzer. Deren Existenz wird durch die viel zu niedrige Bezahlung oft weit unterhalb der JVEG-Sätze bedroht.
- Recht auf Akteneinsicht (verbindlich) bei Gerichtsverfahren fehlt
Übersetzungen und Verdolmetschungen in Fachbereichen mit komplexer Terminologie wie beispielsweise dem Patentrecht sind ohne Vorbereitung auf Sachinhalt und Fachvokabular zwar möglich, könnten aber deutlich präziser und flüssiger ausfallen, wenn die Sprachmittler zur Vorbereitung ein verbindliches Recht auf Akteneinsicht hätten. Wir fordern, dass sie in dieser Hinsicht mit den Sachverständigen gleichgestellt werden und dieses Recht erhalten.
- Recht auf Anonymisierung der persönlichen Angaben in Verfahrensakten fehlt
Die Bedrohung von Dolmetschern und Übersetzern (sowie ihren Familien) wird oft nur in Extremfällen beachtet – wie etwa bei der lebensgefährlichen Evakuierungsaktion von Ortskräften aus Afghanistan. Dabei werden auch in Deutschland Dolmetscher und Übersetzer sowie ihre Familien teilweise bedroht, genötigt und schikaniert, wenn ihr Klarname (manchmal gar ihre Anschrift) aus den Verfahrensakten hervorgeht. Polizeiliche Ermittler werden daher aus gutem Grund nur mit einem anonymisierten Kürzel benannt. Wir fordern dasselbe für Sprachmittler, insbesondere wenn sie in Verfahren im Bereich Terrorismus, Extremismus, Organisierte Kriminalität (und Clan-Kriminalität) zum Einsatz kommen.
Wir sind der Meinung, dass unsere Vorschläge für Vereinheitlichung und mehr Klarheit Verbesserungen bringen können, denn sie würden die Abläufe für alle Beteiligten erleichtern: für Gesetzgeber, Ministerien, Gerichte, Sprachmittler und auch die Gesellschaft. Letzten Endes würde durch einfachere Abläufe und klarere Regelungen langfristig Zeit und Geld gespart und der Flickenteppich in diesem Bereich beseitigt.
Wir listen hier nun ausführlich die uns wichtigen Punkte auf: