Hamburg, 31.08.2022
Liebe Mitglieder des BDÜ,
das Sommersemester 2022 ist nun fast vorbei und ich möchte Ihnen heute gern berichten, was sich bei mir im Studium so alles tut.
Im letzten Semester wurden einige Seminare wie „Gesprächsdolmetschen“ und „Voicen/Dolmetschen aus der Gebärdensprache (DGS) in die deutsche Lautsprache (LS)“ in Seminaren für Fortgeschrittene angeboten. Die Anforderungen in punkto Zeitumfang sowie Schwierigkeitsgrad der gebärdenden sowie sprechenden Person wurden hierbei deutlich angehoben. Als besondere Herausforderung empfand ich es, mich dem Thema „Sprecherauthentizität“ zu stellen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, in welcher Art und Weise ich gebärdenden Personen eine Stimme gebe, die ihnen hinsichtlich Intonation, Sprachregister etc. gerecht wird. Neben der Erfassung dessen wird hierbei vor allem ein kulturelles Sprachverständnis vorausgesetzt, um sowohl den Inhalt sowie dessen Bedeutung korrekt vermitteln zu können. In zwei Spezkom-Seminaren lernte ich viel über die Fachgebiete Dolmetschen im psychologischen sowie literarischen Setting. Das letztere lud einen dazu ein, mit der Sprache Neues auszuprobieren und zum Beispiel Gedichte von Goethe mit ihren typisch deutschen Reimen und Rhythmen sinngemäß in die DGS-Strukturen zu übersetzen. Dieses Wissen wird mir später auf öffentlichen Kulturveranstaltungen eine große Hilfe sein.
Die Corona-Situation hat uns Studierende leider nach wie vor fest im Griff. Bislang fand an unserem Institut keine Lehrveranstaltung in Präsenz statt, was uns den optimalen Spracherwerb des DGS erschwert. Sie müssen wissen, dass das DGS in seiner Ausführung dreidimensional und von einer Kombination des Mundbildes mit der räumlich zu verortenden Handgebärde geprägt ist. Diese Spezifik im DGS lässt sich allerdings in der 2D-Zoom-Lehre, welche seit meinem 2. Semester stattfindet, nur erschwert erlernen. So ist etwa die genaue Erfassung des Abstands der Gebärde zum Körper und/oder die genauen Handformen und ‑bewegungen in der digitalen Lehre wesentlich schwieriger umzusetzen. Laut aktuellem Wissenstand soll die Präsenzlehre im Wintersemester 2022/23 wiederkommen. Darauf freuen wir uns sehr.
Zu diesen Hürden kommt erschwerend hinzu, dass es uns Studierenden durch die Corona-Kontaktbeschränkungen bis heute gar nicht bzw. nur begrenzt möglich war, uns außerhalb der Universität Sprach- sowie Dolmetsch-Erfahrungen ausreichend anzueignen. So war es mir bis zu diesem Sommer nur bedingt möglich, an Präsenzveranstaltungen von oder für taube Menschen teilzunehmen, da diese, wie viele andere Präsenzveranstaltungen auch, coronabedingt entweder verboten oder abgesagt wurden. Im Zuge dessen sind wir Studierenden alle beim Absolvieren unseres dritten Praktikumsblocks, in dem wir aufgefordert sind, selbst für Kunden live zu dolmetschen, aktuell vor enorme Hürden gestellt. So bleiben viele Bewerbungen unbeantwortet oder werden immer noch mit der Begründung abgelehnt, dass aufgrund der Corona-Pandemie keine Praktikanten/Praktikantinnen eingestellt werden können. Bis heute ist es mir daher nicht möglich gewesen, mich im Dolmetschen in gängigen Dolmetschaufträgen, wie eine Begleitung zum Arzt oder zu Behörden, unter Anleitung ausgebildeter Dolmetscher/Dolmetscherinnen auszuprobieren. Zum Dolmetschen muss die Maske abgenommen werden, was das Ansteckungsrisiko für alle Beteiligten erhöht.
Zum Glück habe ich mittlerweile 3 Dolmetschende gefunden, die bereit sind, mich ab und an, allerdings ausschließlich für im Freien stattfindende Großveranstaltungen, mitzunehmen. So hatte ich bereits die großartige Gelegenheit nutzen dürfen, bei der AIDS-Hilfe-Veranstaltung „Positive Begegnungen“ vom 07.07. bis 10.07.2022 in Duisburg zu dolmetschen. Dort war ich als Pausendolmetscher tätig und stellte mit meinem Team die Kommunikation zwischen den Teilnehmenden durchweg sicher. Neben dem informellen Small Talk wurden hier auch vertiefende Fragen zum DGS sowie zum Leben als tauber Betroffener in einer hörenden Mehrheitsgesellschaft neugierig diskutiert. So trage ich bereits jetzt schon dazu bei, kommunikative Hürden zu mindern. Ich selbst bin sehr stolz darauf, mittlerweile die Gebärdensprachkompetenz erworben zu haben, um diesen sprachlichen Transfer simultan leisten zu können. Ich hoffe sehr darauf, dass sich solche Möglichkeiten in der kommenden Zeit erneut ergeben und die coronabedingten Hürden entfallen.
Ich möchte betonen, dass mir das Studium trotz dieser Widrigkeiten sehr viel Spaß macht und ich mich über meine Erfolge und Fortschritte sehr freue. Sie als mein Förderer stehen mir hierbei stark zur Seite! Dafür möchte ich mich erneut ganz herzlich bei Ihnen bedanken!
Christian Neugebauer
Ihr Deutschlandstipendiat
PS: Für alle diejenigen, die sich fragen, wer dieser „Neugebauer“ ist – ich habe vor 2 Wochen geheiratet, bis dato hieß ich noch „Hericks“.